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Entstehung von "JUDGEMENT"

Das Urteil des Pavian-Königs

Willkommen zu einem weiteren Einblick in die Entstehung eines Kunstwerks aus meiner Wild Sketches Serie. Dieses Mal geht es um JUDGEMENT, ein Bild, das mir einiges abverlangt hat – nicht nur in seiner technischen Umsetzung, sondern auch inhaltlich. Paviane sind faszinierende, aber auch herausfordernde Motive. Sie erinnern uns in ihrer Mimik und Körpersprache stark an uns selbst und bleiben doch fremd. Vielleicht lag genau darin meine Schwierigkeit mit diesem Werk. Doch am Ende musste es genau so sein. Warum? Lassen wir den Pavian urteilen...

 

Die Serie: Wild Sketches

Wie immer ein kurzer Exkurs zur Serie: Wild Sketches widmet sich Tieren, die oft als hässlich, unheimlich oder bedrohlich gelten. Ich finde, gerade diese Tiere verdienen einen zweiten Blick und eine künstlerische Auseinandersetzung – nicht nur wegen ihrer negativen Wahrnehmung, sondern auch wegen ihrer beeindruckenden Fähigkeiten und Überlebensstrategien. In JUDGEMENT geht es diesmal um den Mantelpavian, einen Affen mit fast königlicher Erscheinung und einem Sozialverhalten, das ebenso faszinierend wie brutal sein kann.

 

Die Bedeutung des Bildtitels

JUDGEMENT – das Urteil. Ein Wort, das vielschichtiger kaum sein könnte. Wer urteilt hier? Ist es der große, eindrucksvolle Pavian im Zentrum des Bildes, der mit seiner mächtigen Pose über seine Gruppe richtet? Oder ist es umgekehrt – sind wir es, die über ihn und seine Artgenossen urteilen? Paviane gelten oft als aggressiv und unbarmherzig, aber sie sind hochintelligent und besitzen ein komplexes Sozialgefüge. Vielleicht ist das Urteil nicht so eindeutig, wie wir auf den ersten Blick denken...

 

Kunststil, Technik und Farbwahl

Das Bild ist, wie alle Werke der Serie, mit Acryl auf Leinwand gemalt. Mit einer Rolle einheitlich die Hintergrundfarbe aufgetragen und dann kamen wieder schwarze und weiße Acrylmarker für dynamische Striche zum Einsatz – ein Stilmittel, das den Charakter einer schnellen Skizze bewahrt, auch wenn es auf einer großen Leinwand umgesetzt wird. Es macht mir das Leben nicht unbedingt leichter, aber es trägt zur Energie und Eindruck von Spontaneität des Werks bei.

 

Die Farbwahl ist bewusst gewählt: Ein tiefes, fast königliches Lila als Hintergrund verstärkt die Wirkung des dominanten Männchens. Mantelpaviane haben eine beeindruckende Mähne – sie wirkt fast wie ein Umhang, der ihre Autorität unterstreicht. Kombiniert mit der Farbe entsteht ein Eindruck von Macht und Entscheidungsgewalt. Die violette Farbgebung gibt dem Bild zudem eine mystische, fast spirituelle Atmosphäre, die an alte Könige oder Schamanen erinnert.

 

Die Komposition: Drei Paviane, drei Schicksale?

Im Mittelpunkt steht das bewusst weit über Lebensgröße gemalte Männchen – auf einem Felsen thronend, mit einer erhobenen Hand, die in ihrer Haltung mich an Thanos erinnert. Ja, genau – Thanos aus dem Marvel-Universum, der mit einem Fingerschnippen die Hälfte allen Lebens auslöschen konnte. Auch der Pavian könnte hier das Schicksal seines Rudels bestimmen.

 

Unter ihm befinden sich zwei Jungtiere, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Das eine sitzt aufrecht zwischen seinen Beinen, es wirkt gesund und sicher, als gehöre es zu ihm. Das andere liegt weiter unten, fast unter seinem Fuß – ist es schwach, krank, traurig? Oder wurde es bereits verstoßen? Paviane leben in streng hierarchischen Gruppen, in denen nur die Stärksten überleben. Hier könnte sich ein Moment der Entscheidung abspielen: Ist das schwache Jungtier noch Teil der Familie oder nicht? Er muss harte und grausame Entscheidungen zum Wohle seiner Gruppe treffen. 

Mich hätte er als nicht ganz körperlich fitter Künstler wohl ziemlich früh verstoßen. In der Natur gibt es wenig Platz für Schwäche. Zum Glück läuft es bei uns Menschen meistens anders – aber leider eben auch nicht immer.

 

Paviane: Mehr als nur "wilde Affen"

Paviane haben nicht den besten Ruf. Sie plündern, wenn sie ihren Lebensraum mit Menschen teilen, und gelten als aggressiv, hinterhältig und wenig sympathisch. Besonders in landwirtschaftlichen Gebieten werden sie als Schädlinge betrachtet, da sie Felder verwüsten und Nahrung stehlen. Ihre direkten Konfrontationen mit Menschen und ihre lauten, manchmal furchteinflößenden Verhaltensweisen verstärken dieses Bild.

 

Auch in der Mythologie und Popkultur tauchen Paviane oft in negativen Rollen auf. In einigen afrikanischen Legenden werden sie als trickreiche oder bösartige Wesen beschrieben. In der ägyptischen Mythologie hingegen hatte der Pavian eine ambivalente Rolle – als Begleiter des Gottes Thoth wurde er mit Weisheit assoziiert, aber auch mit Unruhe und Wildheit. Selbst in modernen Filmen und Erzählungen erscheinen Paviane oft als unberechenbare oder bedrohliche Kreaturen.

 

Aber wer sich näher mit ihnen beschäftigt, entdeckt ein hochintelligentes Wesen mit faszinierenden Fähigkeiten:

  • Überlebensstrategen: Paviane gehören zu den anpassungsfähigsten Primaten der Welt. Sie leben in Wüsten, Savannen und sogar Gebirgen – Orte, an denen viele andere Arten nicht überleben könnten.
  • Kommunikation auf höchstem Niveau: Mit über 30 verschiedenen Lauten, Gesichtsausdrücken und Körperhaltungen ist ihre Kommunikation fast so komplex wie unsere eigene.
  • Unglaubliche Ausdauer: Sie können kilometerweit durch gefährliches Gelände wandern, um Nahrung und Wasser zu finden – und das oft unter extremen Bedingungen.
  • Soziale Intelligenz: Obwohl sie strenge Hierarchien haben, sind sie in der Lage, enge Allianzen und Freundschaften zu schließen. Weibchen unterstützen sich gegenseitig in der Aufzucht ihrer Jungen, und Männchen, die gute Beziehungen aufbauen, haben oft einen Vorteil in der Gruppe.
  • Schutz gegen Raubtiere: Paviane haben beeindruckende Strategien, um sich gegen Feinde zu verteidigen. Sie arbeiten zusammen, um Leoparden, Hyänen oder sogar Löwen abzuwehren – etwas, das nur wenige Affenarten so erfolgreich tun.

Diese Aspekte wollte ich in meinem Bild einfangen: nicht nur die bedrohliche, sondern auch die bewundernswerte Seite der Paviane.

 

Mein persönlicher Kampf mit dem Bild

Ehrlich gesagt, war JUDGEMENT eines der schwierigsten Bilder dieser Serie. Ich habe es mehrfach übermalt, es beiseitegelegt und überlegt, ob ich es überhaupt fertigstellen soll. Es hat mir nicht den gewohnten Spaß gemacht – vielleicht, weil Paviane uns so ähnlich sind und doch so anders? Vielleicht, weil ihre soziale Dynamik schwer greifbar ist? Oder einfach, weil ich mich selbst mit dem Urteil über meine Arbeit schwergetan habe?

 

Das Ergebnis macht mich stolz, aber es war ein anstrengender Weg dorthin. Und wahrscheinlich wird dies vorerst das letzte Werk in der Wild Sketches Serie sein. Es gibt noch etliche Skizzen zu anderen Tieren, aber ich brauche eine Pause – Zeit für neue Projekte und frische Inspiration. Vielleicht kehre ich irgendwann mit neuen Ideen zurück – oder die Serie bleibt genau so stehen, als abgeschlossenes Kapitel. Wer weiß?

 

Wer urteilt wirklich?

Vielleicht bin es nicht nur ich, der über sein Werk urteilt. Vielleicht seid ihr es als Betrachter. Oder vielleicht ist es der Pavian selbst als Sinnbild für Mutter Natur über uns Menschen urteilt?

Was denkt ihr über das Bild, über Paviane, über das Konzept von Urteil und Hierarchie? Schreibt mir eure Gedanken – ich freue mich auf den Austausch!

  

Euer Martin Lingens


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